Mein Körper, meine Bestattung

Möglichkeiten

Zum offenen Umgang mit Körperlichkeit ermutigen und Diskriminierung entgegenwirken

Seit der Pandemie war unserer Körper vor allem als Viren übertragendes Vehikel im Fokus und wird es wohl auch noch eine Weile bleiben. Doch es gibt auch noch andere wichtige Fragen zu unserer Körperlichkeit, die uns im Sommer vielleicht noch präsenter sind als sonst. Etwa die, was eigentlich mit meinem Körper passiert, wenn ich tot bin. Wie sieht er dann aus und wie wird er von wem angesehen? Wie fühlt er sich dann an und wie gehen andere mit ihm um? 

Allein diese Vorstellung zuzulassen ist ein großer Schritt, denn die Körperlichkeit des Todes wurde gerade in der hiesigen Kultur lange verdrängt. 
Eine wichtige Frage im Leben und im Tod: Wen lasse ich in diesem letzten intimen Moment an mich heran? Wer darf mich dann berühren und wie?

 

 

 

Erst vor Kurzem sorgte ein Tweet der Amerikanerin Marissa Louise für Aufsehen, die sich darüber erboste, dass Frauen in ihrem Land während der Totenversorgung BHs angezogen bekommen. Wie sich im Laufe der darauffolgenden lebendigen Debatte herausstellte, ist dies allerdings kein Muss; viele Bestattungsbetriebe stellten klar, dass sie den Verstorbenen nur das anzögen, was von ihren Familien bereitgestellt würde.

Trotzdem hatte der Tweet zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Artikels fast 150.000 Likes und wurde 25.000-mal geteilt. In den fast 600 Kommentaren wurden vor allem Stimmen laut, die betonten, wie wichtig es sei, solche Dinge im Tod so handhaben zu dürfen wie zu Lebzeiten. 

Es ist tatsächlich eine seltsame Vorstellung, dass ein fremder Mensch über den eigenen Körper entscheidet in einem Moment, in dem man nicht mehr aktiv mitentscheiden kann. 
Möchte man sich nicht lieber von jemandem versorgen und bestatten lassen, der sich in die eigene Körperlichkeit einfühlen kann?

Man braucht Menschen, die ein Bewusstsein dafür haben, wer vor einem liegt. 

 

Das sagt Anne Kriesel, Gründerin von Bohana, dem Online-Portal und Netzwerk für lebendige Abschiedskultur. „Es gibt viele Situationen, die besondere Sensibilität erfordern, zum Beispiel die Bestattung von queeren Menschen. Man ist ja völlig schutzlos in der Situation und muss darauf vertrauen können, dass respektvoll mit einem umgegangen wird." 

 

 

Anne Kriesel outete sich schon sehr früh als lesbisch und lebt heute mit Frau und zwei Kindern in Berlin. „Für mich und mein Umfeld ist das Verliebtsein in eine Frau normal“, erzählt sie, „aber für viele andere ist es das nicht. Homophobe Sprüche, Anpöbeleien, Bedrohungen und Beschimpfungen gehören für viele Lesben, Schwule, Bisexuelle und trans Personen zum Alltag. Umso wichtiger ist es, in so sensiblen Momenten wie dem Tod Schutzräume zu haben. Gendersensible Sprache ist in der queeren Community wichtig und muss in der Kommunikation mit den Zugehörigen berücksichtigt werden. Und auch wenn es um die Versorgung des Körpers geht, möchte man von Bestatter:innen versorgt werden, die ein Bewusstsein für Sprache, Vielfalt, Achtsamkeit, Respekt und Toleranz haben.“

Auch andere Fachleute für queere Bestattungen wie Dr. Julian Heigel (Thanatos Berlin) betonen, dass es „längst noch nicht für alle selbstverständlich“ sei, „dass es in einem Doppelgrab keine Männer- und Frauenseite geben muss, dass Menschen im richtigen Geschlecht bestattet werden, unabhängig davon, was in ihren Papieren steht, dass manche Menschen Schutzräume brauchen, zum Beispiel bei einer Totenfürsorge oder auf einer Beerdigung und dass nackte Körper unterschiedlich aussehen.“

 

 

Heigel schreibt auf seiner Website:

Queere Menschen haben oft bestattungspflichtige Verwandte, die ganz andere Vorstellungen von der Bestattung haben als die eigentlichen Bezugspersonen. Dann ist es unsere Aufgabe zu vermitteln und allen den Abschied zu ermöglichen, den sie brauchen, ohne dass andere davon verletzt sind.

 

Auch Dominik Kleinen, Bestatter bei Grieneisen in Berlin, der selbst in einer eingetragenen Partnerschaft mit einem Mann lebt, weiß um die Sensibilität der Situationen, die sich aus der Körperlichkeit im Bestattungskontext ergeben können: „Das ist ein ganz großes Thema, auch bei denen, die die Trauerrede halten“, sagt er im Gespräch mit friedlotse. „Da muss man sich schon ganz genau fragen: Wer passt zu wem? Man muss die Leute gut einschätzen. Es spielt oft eine Rolle, ob es eine Frau oder ein Mann ist. Es kann aber auch schon ein Thema sein, dass ein alter Mensch einen jungen Menschen als Begleitperson nicht ganz für voll nimmt.“

Trotzdem sieht Kleinen das Ganze auch pragmatisch: 

Wir können nicht alles wissen, wir gehen eher als lernwillige Nichtwissende in die Situation hinein. Wir bieten den Raum und die Zeit. Die Inhalte gestalten ja die Menschen und wir können nur versuchen, sie so gut wie möglich dabei zu unterstützen.

 

So offen diese Worte klingen und sicher auch gemeint sind, scheint es doch großen Bedarf an neuen Bestattungsangeboten zu geben, die gezielter auf Gruppen mit besonderen Bedürfnissen bei der Bestattung zugehen.

 

 

Maria Kauffmann und Robert Freitag haben ein solches Angebot geschaffen. „Ab unter die Erde“ heißt es und richtet sich an „die Queer-Szene, aber auch einfach all die, die etwas Besonderes wollen. Menschen, die ein buntes Leben hatten und auch auf bunte Weise verabschiedet werden wollen“, so Kauffmann im Interview.

Unter anderem baut ihre neu gegründete After Life GmbH gerade ein Bestattungsinstitut für die muslimische Queer-Community in Berlin auf. „Normalerweise würde ein muslimischer Bestattungsbetrieb diese Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung gar nicht bestatten“, sagt Kauffmann. „In ihren Heimatländern steht teilweise sogar die Todesstrafe darauf.“

Freitag und Kauffmann hören in ihrem Alltag Fragen wie: „Ich bin schwul. Kann ich dann überhaupt auf den Friedhof?“ Und manche trauen sich nicht einmal zu fragen.

Trotzdem: Zumindest haben Mitglieder der queeren Community meist die Wahl, ob sie von ihrer Orientierung erzählen möchten. Viele andere, die strukturelle Diskriminierung im Bestattungskontext erfahren, haben nicht die Option, sich in dem für sie richtigen Moment zu zeigen, sondern sind visuell erkennbar, wie zum Beispiel People of Color.

Niemandem, mit dem friedlotse für diesen Artikel sprach, kennt eine schwarze Bestatterin oder einen schwarzen Bestatter in Deutschland. Was machen People of Color, die sich im Moment ihrer Bestattung in unserem Land kulturell, aber auch körperlich aufgefangen, sicher, geborgen fühlen wollen?

 

 

In Amerika haben schwarze Bestattungen eine lange Geschichte. „Homegoings“, wie sie meist genannt werden, sind große, ausschweifende Feiern mit Verabschiedungen am offenen Sarg, opulentem Schmuck und vielen Ritualen. Oft, so schreibt The Atlantic, sind diese Trauerfeiern ein Weg, den Verstorbenen den Respekt zu zollen, den sie zu Lebzeiten selten bekamen. Sie waren außerdem schon immer Teil des politischen Untergrunds; eine Art, sich zu organisieren und auszutauschen. Zu Zeiten der Sklaverei fanden sie nur unter Aufsicht der Weißen statt, weil sie sonst zu schwer kontrollierbar gewesen wären. Später wurden schwarze Bestatterinnen und Bestatter auch Leitfiguren in ihren Communities, in der Politik oder in der Kirche.  
Leider müssen heute immer mehr der afroamerikanischen Bestattungsbetriebe aus wirtschaftlichen Gründen schließen – und die mit ihnen verbundene Kultur droht verloren zu gehen.

 

 

Bestattung ist immer auch Macht. So schreibt Kulturanthropolog*in und Antidiskriminierungstrainer*in Francis Seeck:

Ausgrenzung und Marginalisierung hören auch nach dem Tod nicht auf.

 

Ein Ausspruch, der auf die von Seeck viel thematisierten ordnungsbehördlichen Bestattungen passt, aber auch auf die Armenfriedhöfe der Schwarzen in Amerika, die anonymen Gräber Geflüchteter an den Außengrenzen Europas, oder auf das vor allem anfängliche Stigma der AIDS-Toten weltweit.

Es sind zwar mehr und mehr Bestattungsoptionen verfügbar, doch für bestimmte Bedürfnisse und Lebenswirklichkeiten fehlen oft noch Verständnis und gute Angebote. 
Selbstbestimmung und Gestaltungsfreiraum gewinnen Boden in der deutschen Bestattungsbranche, auch wenn viele noch nichts wissen wollen von unbedingter Individualität, unkonventionellen Wegen und nonkonformen Riten. Ein besonderes Schutzbedürfnis bei Totenversorgungen wird von vielen Bestatterinnen und Bestattern belächelt, und Sätze wie „Die merken eh nichts mehr“ haben wir noch lange nicht überwunden.  
Dass viele Möglichkeiten rund um die Bestattung eine Frage des Geldbeutels sind, wird auch immer wieder zum Problem, da Diskriminierte oft auch finanziell schlechter gestellt sind. 

Zusammen, mit den Menschen, die in diesem Artikel zu Wort kommen, möchten wir dazu beitragen, dass das zunehmend geschärfte Bewusstsein für unterschiedlichste Menschengruppen in Deutschland eine immer diversere Bestattungs- und Trauerkultur zutage fördert. 

 

 

Ein aktiv gestalteter Diskurs zum Thema „Diskriminierung im Bestattungskontext“ ist unbedingt notwendig. Daher würden wir auch von dir gerne wissen: 

Was sind deine Erfahrungen und Gedanken zu Bestattung und Körperlichkeit? 
Fühlst du dich von den bestehenden Bestattungsangeboten angesprochen oder müsste etwas grundlegend Neues geschaffen werden?
Hast du schon einmal Diskriminierung im Bestattungskontext erfahren?
Kennst du Angebote für People of Color oder andere oft marginalisierte Gruppen in Deutschland, die hier unbedingt Erwähnung finden sollten?
Dann schreib uns: hallo@friedlotse.de

 

[Fotos: Angelika Frey]





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