In Todesnähe - Sterbefasten als Weg des selbstbestimmten Sterbens

Reflexionen Möglichkeiten

 

In der Debatte um aktive Sterbehilfe und ärztliche Suizidbeihilfe wird auch immer wieder diskutiert, wie der Freiwillige Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit (FVNF) medizinisch, rechtlich und ethisch zu bewerten ist.
Laut Einschätzung der Bundesärztekammer belastet sich ärztliches Fachpersonal hier nicht mit dem Delikt der „Hilfe bei Selbsttötung“, sondern begleitet die Betroffenen in ihrem selbstbestimmten Sterbeprozess. Trotzdem ist dieser Weg, der vor der Zunahme lebensverlängernder Maßnahmen für alte und sehr kranke Menschen ein ganz natürlicher war, wenig bekannt und ebenso wenig gesellschaftlich akzeptiert in Deutschland.

Wir haben mit einer der prominentesten Befürworterinnen des Sterbefastens, Sabine Mehne, gesprochen und möchten mit dem folgenden Beitrag – ihrer poetischen und bildreichen Reflexion – einen Zugang zum Thema schaffen.

Weiterführende Links findet ihr am Ende des Beitrags. 

 

 

„Auf die Frage, wie es mir geht, habe ich zwei Antworten.

Je nachdem, wie es mir geht, sage ich entweder: Ich bin zufrieden. Oder: Ich lebe.

Lange hatten wir keinen Namen für meine Krankheit, bis wir wussten, welcher Krebs es war. Es war ein sehr gemeiner, aggressiver Krebs.

Heute weiß ich, ich war damals schon in einem Sterbeprozess.

 

 

Vor der Diagnose hatte ich eine Nahtoderfahrung. 

 

Bis dahin hatte ich gedacht, ein Mensch ist das, was er im Spiegel erblickt. Doch von da an wusste ich, wir sind viel mehr als unser Körper.

Danach wieder in eben diesem Körper anzukommen, war schwer. Mein geweitetes Bewusstsein passte gar nicht mehr in diese Hülle. Gleichzeitig hatte ich eine ungeheure Sehnsucht nach einem Ort, für den mir die Worte fehlten.

Damals hatte ich meine Nahtoderfahrung noch gar nicht erkannt, sondern sie eher wie in einem „Schatzkästchen“ eingeschlossen. Ich wusste also gar nicht, was ich erlebt hatte. Trotzdem war da eine innere geistige Kraft, die mich stärkte seit dieser Erfahrung. Das war wie mein doppelter Boden.

Ohne dass ich sie benennen konnte, wusste ich, dass ich diese Kraft für die anstehende Knochenmarktransplantation nutzen musste. Denn die brachte mich erneut an die Schwelle des Todes.

 

[aus: Shan, Indris, Die Sufis, Eugen Diedrichs Verlag, Deutsche Ausgabe, 1976]

 

Mir hat eine Sufi-Parabel geholfen zu der Zeit: Ein munter sprudelnder Bach kommt zu einer Wüste, und er sagt zu ihr: Meine Aufgabe ist es, dich zu überqueren, aber ich weiß nicht wie. Immer, wenn ich es versuche, saugt mich der Sand auf. Was soll ich nur tun?

Und die Wüste sagt zu ihm: Geh auf den Wind, lass dich über die Wüste tragen, und am Ende der Wüste regnest du ab und wirst wieder ein Bach. Du wirst vielleicht anders aussehen, aber im Innern wirst du wissen, dass du derselbe geblieben bist.

Ich hatte keine Angst vor dem Tod, aber ich hatte Angst zu sterben. Die Transplantation war meine Reise durch die Wüste. Ich habe lange gebraucht, bis ich mich wirklich vom Wind habe tragen lassen. Als dann klar war, dass mein Immunsystem wieder begann zu arbeiten, wusste ich: Jetzt beginne ich abzuregnen. 

 

 

An den Spätfolgen dieser Transplantation leide ich heute noch, auch wenn ich von diesem Krebs geheilt bin.

Mir war schnell klar: Ich kann ohne ständige medizinische Behandlung nicht alt werden, und meine Lebensqualität wird trotzdem immer schlechter. Ich muss einen selbstbestimmten Umgang mit diesen immerwährenden Schmerzen und Beeinträchtigungen im Alter finden.

Und ich wusste auf einmal: Ich möchte nicht mehr, dass an meinem Körper rumgemacht wird. Ich möchte in Ruhe sterben können.

 

 

Es war also nicht einfach ein Entschluss zum Sterbefasten. Ich wusste einfach: Das ist mein Weg.

Ich habe Techniken und Rituale entwickelt, mit meinem traumatisierten Körper umzugehen. Wenn ich mich nicht mehr selbst in meiner Krankheit begleiten und versorgen könnte, wäre das für mich das „Go“, mit dem Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit zu beginnen. Ich esse und trinke eh nicht mehr viel. Ich mache also bereits Sterbefasten auf Raten.

Als ich noch als Physiotherapeutin arbeitete, war Anatomie mein Steckenpferd. Dieses Wunderwerk Körper hat mich fasziniert. 

Ich denke über Szenarien nach, die mir und meinem Körper schwerere Schmerzen oder größeres Leid zufügen könnten. Oder über die Dinge, die im Sterbeprozess passieren können, wie zum Beispiel Muskelkrämpfe und Unruhe, die eintreten können, wenn ich bereits nur noch schlafe. Aber ich fürchte mich nicht vor ihnen.

 

 

 

Der sterbende Körper hat keine Lust mehr zu essen und zu trinken. Früher sind alte Menschen oft so gestorben. Heute werden sie künstlich ernährt. So kannst du fast ewig weiterleben. All das, weil Tod und vor allem Suizid mit dunklen Bildern belegt sind. Davon müssen wir uns befreien, indem wir uns bewusst vorbereiten und nicht alles über einen Kamm scheren.

Ich habe eine Ärztin und eine Palliativschwester gefunden, die mich im Sterbefasten, in meinem Sterbeprozess begleiten werden.

Meine Familie darf mich begleiten, wenn sie sich das vorstellen kann. Sie darf es natürlich frei entscheiden.

Ich glaube, dass sich für sie auch ein Kreis schließen könnte, wenn sie zum Schluss an meinem Bett sitzen. Du vergisst nie die Angst, die du als kleines Kind davor hattest, dass deine Mutter stirbt. Auch wenn du dich nicht mehr daran erinnerst.

 

 

Die Menschen, die sterben, trauern vor ihrem Tod. Ich sage nicht mehr, dass ich sterben muss, sondern dass ich sterben darf. Und ich freue mich. Ich habe ein Bild in mir von einem Vogel, der in seinem Nest schlüpft und gefüttert wird. Irgendwann wird das Nest zu klein, und er muss fliegen. Aber er hat seine Flügel noch nie ausprobiert. Er sitzt also am Rand und guckt vor sich hin, bis er den Entschluss endlich fasst. Irgendwann muss er einfach darauf vertrauen, dass seine Flügel ihn tragen werden.

So wird es mir dann auch gehen, wenn es so weit ist.

 

 

Mehr von Sabine Mehne

  • Ich sterbe, wie ich will: Buch / Hörbuch
  • Der große Abflug: Buch
  • Licht ohne Schatten: Buch
  • Keine Angst vor dem Tod: YouTube Video
  • Weitere Interviews zum selbstbestimmten Sterben und Sterbefasten finden sich hier.

Mehr zum Thema

 

[Bilder: Angelika Frey]





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