Bestatter Dominik Kleinen erzählt von seinem Beruf für Berliner Ausstellung „Lieber Tod,"

Reflexionen

Dominik Kleinen ist Bestatter und Betriebsleiter bei Grieneisen Bestattungen in Berlin. Grieneisen gibt es bereits seit 1830 und ist mit mehr als 30 Standorten eines der größten Bestattungsinstitute in Berlin und Potsdam. Herr Kleinen hat seit vielen Jahren Trauergespräche geführt, Trauerreden gehalten und Workshops zu bestattungsrelevanten Themen geleitet. Bereits in seiner Kindheit interessierte Herr Kleinen sich für Zeremonien wie Totenmessen und andere Feierlichkeiten. Im Laufe seiner akademischen Ausbildung zum Kulturwissenschaftler bildete sich eine ausgeprägte Faszination für Rituale heraus. Diese Interessensgebiete findet Herr Kleinen heute in seiner Tätigkeit als Bestatter wieder.

 

Herr Kleinen, uns ist aufgefallen, dass einem schnell die Worte ausgehen, wenn man über die Themen Tod, Sterben und Trauer spricht. Mit welcher Sprache begegnen Sie den Themen?

Sprache ist in dem Themenfeld eine unglaublich große Herausforderung. Das habe ich sofort gemerkt, als ich als Bestatter angefangen habe. Ich habe am Anfang oft am Telefon gestockt, weil ich nicht wusste, wie ich den Angehörigen bestimmte Dinge erklären sollte. Ich weiß am Telefon zudem auch nie, wie die Situation vor Ort ist.

Ich weiß nicht, ob der Mensch friedlich im Bett verstorben, zusammengebrochen ist oder eingeklemmt hinter der Toilette liegt. Und dann ist zum Beispiel eine Frage: Wie kriege ich denn jetzt raus, wie schwer der Mensch ist, was seine Statur ist? Eine wichtige Information für meine Kollegen, die den verstorbenen Menschen überführen. Das ist schon eine Herausforderung.

Es vorsichtig zu benennen, heißt ja noch lange nicht unehrlich zu werden. Ich halte zum Beispiel von dem Ausdruck eingeschlafen gar nichts, weil ich finde, das ist dem Verstorbenen gegenüber unfair. Er ist nicht eingeschlafen, sondern gestorben. Das ist etwas anderes. Das muss auch so benannt werden.

Bei dem Halten von Trauerreden habe ich festgestellt, dass beschwichtigende Worte für die Angehörigen eine absolute Qual sind. Wenn ich den Schmerz, den sie empfinden, klar und deutlich ausspreche, dann werden sie auf einmal ganz ruhig, weil sie gehört werden in dem, was sie empfinden.

Eine andere Sache ist natürlich Sprachlosigkeit, die man ja häufig im Privaten feststellt. Ich habe den Eindruck, da können viele überhaupt nicht mit umgehen. Da fehlen auch Alltagsrituale, um darauf zu reagieren und um Sprachlosigkeit auch mal auszuhalten.

 

Wie würden Sie den Umgang mit Tod, Sterben und Trauern in  Deutschland heutzutage beschreiben?

Was Bestattungskultur anbelangt, kann man glaube ich grundsätzlich sagen, dass es starke regionale Unterschiede gibt,  auch aufgrund religiöser Prägungen. Ich finde aber insgesamt haben wir in Deutschland eher ein zurückgenommenes Verhalten mit unserer Trauer. Es stellt sich, glaube ich, auch generell die Frage, wie wir mit Emotionen umgehen. Man kann das natürlich nicht pauschalisieren.

Generell beobachte ich, dass im Alltag verankerte Rituale, die dem Tod den Raum und die Zeit geben, zum großen Teil verschwunden sind. Das fängt mit der Aufbahrung in den eigenen Räumlichkeiten an, wo Verstorbene im Nebenraum aufgebahrt wurden, man sich zum Essen traf, und alle noch mal Abschied nehmen konnten.

Das sind natürlich auch Entwicklungen, die sich unserem Einfluss entziehen, auf Grund der Hospitalisierung im 19. Jahrhundert. Da sehe ich schon eine Kehrseite von Individualität und Pluralisierung, dass eben solche übergeordneten Rahmen, die oftmals von der Kirche vorgegeben waren, wegfallen.

Sie wurden auch berechtigterweise aufgeweicht, durch den Bedeutungsverlust der Kirche, aber da gab es natürlich Rituale und Formen, um dem Tod zu begegnen. So musste man früher zum Beispiel noch Schwarz tragen, als Zeichen der Trauer. Alle wussten Bescheid. Das ging natürlich aber auch damit einher, dass zum Beispiel Frauen verpflichtet waren, ein Jahr lang Schwarz zu tragen und nirgendwo tanzen gehen durften. Wenn doch, dann wurden sie geschmäht. Das hat also alles so seine Vor- und Nachteile mit diesen Ritualen.

 

Welche Entwicklungen nehmen Sie in der Bestattungskultur wahr, im Umgang mit dem Tod?

Ich denke, die Bestattungsunternehmen haben sich natürlich immer diesen gesellschaftlichen Wandlungen angepasst. Bestattung hat sich ursprünglich primär auf die Versorgung Verstorbener konzentriert. Die Versorgung hat sich letztendlich erweitert, zugleich auf die Versorgung von Angehörigen.

Die seelsorgerischen Tätigkeiten, die vorher kirchliche Institutionen übernommen haben, wurden durch die Pluralisierung und Säkularisierung zunehmend auf Bestattungshäuser übertragen. Das merken wir ganz stark.

Die Trauerarbeit mit Angehörigen und die gemeinsame Ausgestaltung der Trauerfeier liegt jetzt in unseren Händen. Das ist viel relevanter geworden. Der Fokus der Angehörigen liegt mehr auf der Trauerfeier.

Was ich sehr positiv finde, ist die Palliativmedizin und Hospizbewegung, wodurch das Zuhause-Sterben wieder möglich gemacht wird. Ich habe festgestellt, dass es eine große Entlastung ist zu sagen: Ich versorge den Menschen jetzt palliativ, denn dann ist die Entscheidung gefällt.

Alle Angehörigen, die zu uns kommen und vorher eine palliative Betreuung erfahren haben, sind in ihrer Trauerarbeit viel weiter. Die haben einfach diese Zeit gehabt, sich zu verabschieden. Es wird sich auf das Sterben und den Tod vorbereitet. Es kann sogar schön sein, jemanden beim Sterben zu begleiten. Das kann für den eigenen Seelenfrieden sehr hilfreich sein.

 

Wie kann man Menschen die Auseinandersetzung mit dem Tod näherbringen, vor allem wenn er noch nicht direkt vor der Tür steht?

Das ist nicht einfach. Es stellt sich immer die Frage: Wo holt man die Leute ab, wo stehen sie und wie kann man sie dann erreichen, ohne dass sie sich vor den Kopf gestoßen fühlen? Wir als Bestattungsunternehmen versuchen ja auch aus einem unternehmerischen Gesichtspunkt heraus Leute zu motivieren, eine Bestattungsvorsorge abzuschließen. Das hat natürlich einerseits pragmatische Gründe, um etwas geregelt zu haben, andererseits bin ich immer der Auffassung, dass es auch dazu beiträgt, sich mit diesem Thema überhaupt auseinander zu setzen.

Wir wollen die Menschen frühzeitig an uns binden, dass sie uns vertrauen und später dann auch ihre Bestattung bei uns in Auftrag geben, wohl wissend, dass das nur funktionieren kann, wenn man uns als Bestattungsunternehmen auch vertraut. Bei der Bestattungsvorsorge versucht man ins Gespräch zu kommen. Da kann letztendlich alles geregelt und vorbereitet werden, was eine Bestattung ausmacht. Man kann alles bis ins Detail festlegen - den Ort, das Sargmodell, die Blumenwahl, Musikwünsche, sogar die eigene Trauerrede. Man kann sich das aber natürlich auch offenhalten.

Am schönsten ist es eigentlich immer, wenn die Gespräche zwischen den zukünftig Trauernden und Sterbenden zu Lebzeiten stattfinden. Das sind immer ganz tolle Gespräche. Ich hatte auch schon Paare, die seit 50 bis 60 Jahre verheiratet waren und bei mir das erste Mal über ihren eigenen Tod gesprochen haben. Wo dann die Partnerin überrascht von den Wünschen des Partners war.

Für uns stellt sich natürlich auch die Frage, wo man das Thema Tod positionieren kann. Wir versuchen da zum Beispiel an Pflegeeinrichtungen heranzutreten und Informationsveranstaltungen zum Thema Bestattungsvorsorge zu machen. Das ist ein heikles Thema, weil viele sagen: Was macht der Bestatter in der Pflegeeinrichtung? Wollen Sie mich schon mitnehmen? Nein, sage ich dann. Ich bin als Ansprechpartner jetzt für Sie da, Sie können mir Fragen stellen.

Bestattungsunternehmen sind dann sehr häufig auch Projektionsfläche für die eigene Frustration und Angst, denn bei Bestattungen geht es auch immer um ganz pragmatische Fragen. Kommen wir zum Beispiel als Bestatterinnen und Bestatter in die Pflegeeinrichtungen, dann heißt es immer: Bitte holen Sie mit Sarg ab. Für die Überführung haben wir zum einen den Sarg, aber auch die Bahre. Die Bahre erinnert an einen Autounfall oder Tatort. Dagegen strahlt der Sarg mehr Würde aus. Es ist natürlich so, wenn jemand aus einem Dachgeschoss abgeholt werden muss, kommen wir mit dem Sarg nicht um die Ecke. Da müssen wir die Bahre nehmen, wo wir die Verstorbenen auch  fixieren können. Das geht einfach nicht anders. Kommen wir mit dem Sarg in eine Pflegeeinrichtung, heißt es oft: Hier vorne ist gerade eine Veranstaltung. Bitte gehen Sie durch den Hintereingang. Es gibt Pflegeeinrichtungen, die wollen, dass wir generell durch den Hintereingang gehen.

Da frage ich mich, was das für ein Respekt gegenüber den Verstorbenen, aber auch gegenüber den Bestattenden ist. Da sind sie da hinten auf dem Hof, wo auch der Müll rausgebracht wird, die Schmutzwäsche entsorgt wird und irgendwelche ausrangierten alten Möbel stehen.

 

Wie würden Sie Ihre Rolle als Bestatter beschreiben, die Sie einnehmen?

Zuhörer, Vermittler und Gestalter, würde ich sagen. Man muss es letztendlich schaffen, die verschiedenen Lebenswelten zu verstehen, in der sich Menschen bewegen. Das finde ich so faszinierend und das Schöne an dem Beruf. Deswegen ist dieses Zuhören so wichtig. Als Bestatter muss ich außerdem alle Optionen kennen. Die Bestattungsmöglichkeiten sind mittlerweile sehr, sehr vielfältig geworden. Ich muss mich da gut und regelmäßig informieren und die Abläufe kennen.

Die Gestaltung ist auch ganz wichtig. Bei Bestattungen geht es auch immer um die Schönheit — was letztendlich belastend ist, muss in irgendeiner Art und Weise veredelt werden, damit es erträglich wird. Das fängt mit der Versorgung des Verstorbenen an — Wie ziehe ich den an? Wie lege ich die Hände? Was für Beigaben habe ich zum Abschied? Wie sollen die Abschiedskarten aussehen? Das sind alles Gestaltungsfragen.

 

Gerade in Berlin gibt es immer mehr alternative Bestattungsunternehmen. Gibt es da Konflikte? Wie nehmen Sie die Kommunikation untereinander wahr?

Die Alternativbestattung ist als bewusste Alternative zu klassischen Bestattungen entstanden. Zu Beginn war das Abgrenzungsbedürfnis hier sehr groß. Das betraf in erster Linie Fragen der Transparenz in den Arbeitsabläufen und die Berücksichtigung individueller Bedürfnisse der Angehörigen. Die alternative Strömung hat den gesamten Markt eigentlich eher befruchtet. Wir bei Grieneisen sind kein alternatives Bestattungsunternehmen, aber wenn wir individuelle Bedürfnisse erfüllen sollen, dann haben wir dafür auch die Zeit und den Raum. Wir sind ein sehr großes Haus. Das hat viele Vorteile, weil wir eben in vielen Dingen sehr professionell agieren können. Wir sind gut vernetzt im gesamten Berliner Raum, können dadurch natürlich auch viele Dinge vielleicht schneller machen. Wir haben aber dann natürlich nicht unbedingt die Möglichkeit mit der Familie eine Beziehung einzugehen. Da sind wir einfach in gewisser Hinsicht ein professioneller Dienstleister.

Die Bestattung funktioniert in erster Linie immer über eine Weiterempfehlung. Das hat auch damit zu tun, dass natürlich die Kauffrequenz bei Bestattungen in weitaus größeren Abständen erfolgt als jetzt beispielsweise beim Friseur. Das heißt also, wenn jetzt jemand mit uns zufrieden war, der wird ja nicht nächste Woche gleich schon wiederkommen. Das Wiederkommen basiert auf Vertrauen und das steht und fällt mit der Arbeit unserer Mitarbeitenden vor Ort. „Wir waren zwar bei Grieneisen, aber wir suchen eigentlich Frau Schmidt, die hat uns damals vor vier Jahren so nett betreut.“

Diesen menschlichen Kontakt, den müssen wir aufrechterhalten und fördern. Das ist im Vergleich zu einem ganz kleinen Bestattungsunternehmen, das vielleicht drei Mitarbeitende hat, eine größere Herausforderung bei einer Unternehmensgröße wie unserer. Bei kleineren Bestattungsinstituten ist in gewisser Hinsicht auch Vorsicht geboten, was sie denn dann tatsächlich auch leisten. Oftmals wirkt das auf den ersten Blick familiär und charmant, letztendlich werden aber alle Dienstleistungen ausgelagert. Es ist nur eine Vermittlertätigkeit.

 

Glauben Sie, es müsste mehr über den Tod gesprochen werden?

Ich finde, es müsste Angebote geben. Zwingen kann ich niemanden, will ich auch niemanden. Und es ist auch die Frage, auf welche Art und Weise über den Tod gesprochen wird und mit welcher Absicht. Ich finde, alle sollten die Möglichkeit haben, vielleicht auch aufgefordert werden, das eigene Verhältnis zum Tod zu klären, weil das einfach für die eigene Glückseligkeit sehr relevant ist. Und andererseits denke ich manchmal auch, man muss aufpassen, dass diese Aussage “Der Tod ist tabu” nicht zu einem Klischee wird. Der Tod ist in den Medien omnipräsent. Es muss irgendwo ein Unterschied gemacht werden zwischen der Darstellung und dem eigenen Sprechen darüber. In der Darstellung sind es immer die anderen.

 

Hat sich für Sie der Umgang mit dem Tod durch Ihre Arbeit verändert?

Ich möchte nicht sagen unbedingt verändert, aber er hat vieles bewusster gemacht. Ich bin eigentlich ganz froh, dass es den Tod gibt.  Ich finde es auch gut, dass ich dann irgendwann mal sterben werde. Das Gegenteil wäre ja, dass man ewig leben würde, und das wäre der absolute Horror. Es gehört einfach dazu, dass das irgendwann aufhört. An der Ewigkeit festzuhalten ist ein verzweifelter Versuch. Es bringt nichts und wird der Sache auch nicht gerecht.

 

 

Der Tod ist die sicherste Variable in unserem Leben – warum also nicht darüber sprechen? Genau dazu lädt die Veranstaltung „Lieber Tod," vom 24.-26. Juni 2022 ins Kunstquartier Bethanien ein! Abseits von Friedhöfen und Trauerfeiern schaffen die Veranstalterinnen Mara, Sheena, Charlie und Marie einen Ort, um sich den Themen Tod, Sterben und Trauer zu nähern und darüber in einen Dialog zu treten. Verschiedene Menschen berichten in diesem Rahmen davon, wie der Tod ihr Leben verändert hat, zum Beispiel durch eine lebensverkürzende Diagnose, einen Verlust - oder ihre Berufung, in der Bestattung zu arbeiten. 

Öffnungszeiten:

24.06. 18-22 Uhr
25.06. 12-22 Uhr
26.06 12-16 Uhr

Auf Instagram könnt ihr mit den Veranstalterinnen in Kontakt treten. Über Crowdfunding könnt ihr diese tolle Aktion auch finanziell unterstützen. 

[Illustrationen: Mara Niese]

 





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