Zu Erde werden - Mit der „Reerdigung“ gibt es nun eine Alternative zur Feuer- und klassischen Erdbestattung

Möglichkeiten

 

Lange Zeit gab es in Deutschland prinzipiell nur zwei Möglichkeiten, sich bestatten zu lassen: die der klassischen Erd- und die der Feuerbestattung. Letztere wurde einst zur Seuchenbekämpfung etabliert, erfreut sich aber immer noch stets wachsender Beliebtheit, nicht zuletzt, weil sie so viele verschiedene Beisetzungsoptionen, beispielsweise im Meer oder im Wald, ermöglicht. Sie hat der klassischen Erdbestattung im Sarg längst den Rang abgelaufen, obwohl sich viele Friedhöfe bemühen, vorsorgenden und trauernden Menschen auch für Erdbestattungen mehr Gestaltungsspielraum zu gewähren.

Nun aber setzt ein junges Berliner Unternehmen an, mit seinem Angebot der „Reerdigung“ Bewegung in die hiesige Bestattungskultur zu bringen. „Meine Erde“ heißt es und bringt Verstorbene nicht unter die Erde, sondern macht aus ihnen Erde oberhalb der Erde – dank einer substratartigen Mischung in einem sargähnlichen Behälter, in dem sie 40 Tage lang in tropischen Verhältnissen mit Sauerstoff versorgt werden.

 

 

Wie noch mal? Richtig gelesen. Der tote Körper wird im sogenannten Kokon auf pflanzliches Material wie Blumen, Grünschnitt und Stroh gebettet und damit bedeckt. Sonst kommen keine Zusatzstoffe hinzu. Der Kokon wird dann verschlossen und in seine „Wabe“ im „Alvarium“ (zum Beispiel einem ehemaligen Aufbahrungsraum) verbracht. Begriffe, die Meine Erde für diesen Zusammenhang mit Geistlichen neu entwickelt hat und von der Bedeutung an einen Bienenstock erinnern sollen (ähnlich wie das Kolumbarium an einen Taubenschlag). Nach zehn Tagen muss der Kokon dann regelmäßig ganz langsam gedreht werden, um die Flüssigkeit, die sich durch die Schwerkraft am Boden des Kokons absetzen könnte, zu verteilen. So werden anaerobe Prozesse vermieden, die zur Bildung von Klimagasen führen können.

 

 

Je nach Gewicht des verstorbenen Menschen verwandeln ihn die Mikroben, die er schon zu Lebzeiten in und auf seinem Körper trug, während des Zersetzungsprozesses in 100 bis 200 Kilogramm Humuserde, die nach frischem Waldboden riecht und aus der neues Leben erwachsen kann.
Diese neu gewonnene Erde wird dann entnommen und verfeinert. Das bedeutet, dass sie je nach örtlichen Bestattungsgesetzen ausgesiebt wird und Gelenke und andere Fremdkörper (z. B. Zahnersatz, Prothesen oder Schrittmacher) entnommen werden. Knochenreste werden ähnlich wie im Krematorium zerrieben. Dann wird diese feinere Erde auf dem Friedhof beigesetzt. Der leere Kokon kann danach für die nächste Reerdigung vorbereitet werden.

Schleswig-Holstein ist das erste deutsche Bundesland, das die Reerdigung erlaubt hat. Die neue Beisetzungsform ließ sich ohne Probleme in das aktuelle Bestattungsgesetz eingliedern. Einzige Bedingung: Da sie gesetzlich quasi als beschleunigte oberirdische Erdbestattung anzusehen ist, muss der Kokon auf einem Friedhofsgelände stehen. Ähnlich könnte es auch auf Basis der bestehenden Gesetzeslage in den anderen Bundesländern gehandhabt werden.

 

 

In Mölln wurde bereits die erste Verstorbene reerdigt. Das beauftragte Bestattungsunternehmen hatte eine Stunde nach der Erlaubnis der lokalen Politik bereits die erste interessierte Familie beraten, die in letzter Minute von einer anonymen Urnenbestattung zur Reerdigung umschwenkte, obwohl sie teurer war: mit etwa 1.800 Euro kostet sie ungefähr so viel wie eine durchschnittliche Feuerbestattung.

Die Familie wird einen Rosenbusch auf das Grab pflanzen.

Pablo Metz, zusammen mit Max Hüsch Begründer von Meine Erde, sagte dazu im Gespräch mit friedlotse: „Der Rosenbusch, der dann auf ihrer Erde gepflanzt wird, sorgt dafür, dass die Verstorbene nach der Bestattung nicht ganz weg ist. Es besteht beispielsweise die Möglichkeit, dass die Angehörigen so einen Busch später an einen Ort ihrer Wahl pflanzen können. Die Enkel können diesen dann wachsen sehen. Das ist doch eine schöne Vorstellung.“

 

 

Das ist es tatsächlich. Einfacher als mit diesem Bild kann man den Kreislauf des Lebens wohl nicht visualisieren.

Wer sich reerdigen lässt, verzichtet auf einen Sarg und Kleidung bei der Bestattung, vielleicht auch, um Ressourcen zu schonen. Er spart im Vergleich zur Kremation eine Tonne CO2-Ausstoß ein und verbessert sogar Klima und Boden mit der Erde seines Körpers.

Also zurück zum Ursprung? Ganz so einfach ist es doch nicht, denn: „Wir haben von der Natur gelernt und ursprüngliche Prozesse mit grüner Technologie vereint“, sagt Metz, der prinzipiell ein Händchen dafür zu haben scheint, Altes mit Neuem zu verbinden.

So hat er seine neue Bestattungsart nicht nur in Abstimmung mit Vertretern und Vertreterinnen mehrerer Religionen und Weltanschauungen in althergebrachte Rituale integrieren können, sondern sucht auch den Schulterschluss mit der Politik und der Bestattungsbranche, gewinnt diese für seine Ideen und entwickelt sie mit ihnen gemeinsam weiter.   

„Wir haben den Ansatz gewählt, uns in die bestehenden und funktionierenden Abläufe einzugliedern“, sagte Metz im Interview. „Wir finden, dass es viele tolle Bestattungsinstitute gibt, die einen sehr wichtigen und großen Beitrag in der Begleitung der Familien leisten.
Genauso gibt es tolle und innovative Friedhofsverwaltungen und Geistliche.
Eine Reerdigung ist, wie das Beispiel in Schleswig-Holstein erfolgreich zeigt, im Rahmen der bestehenden Bestattungsgesetze rechtskonform durchführbar.“

 

 

Barbara Rolf, Direktorin für Bestattungskultur bei der Ahorn Gruppe, ist davon beeindruckt: „Wenn man die Reerdigung als dritte Bestattungsart ansieht, und ich tendiere stark dazu, dies zu tun, wird gerade das erste Mal seit 150 Jahren eine neue Bestattungsart in Europa durch- und vermutlich auch eingeführt. Historisch!“

In der Tat hat die Neuerung von Pablo Metz und seinen Mitarbeitenden in kurzer Zeit Wellen geschlagen innerhalb der Bestattungswelt. Trotzdem äußern sich andere Fachleute teilweise noch vorsichtig.

Thorsten Benkel, Akademischer Rat für Soziologie an der Universität Passau, relativierte die Entwicklung im Gespräch mit friedlotse: „Natürlich passt die Reerdigung gut zum Trend der Naturbestattungen, die in Deutschland recht stabil bei etwa zehn Prozent liegen.
Zum Schluss kommt jedoch immer noch der Friedhof. Bis es da zu einer Revolution in der Bestattungskultur kommt, werden wir wohl noch einige Jahre warten müssen. Es ist eher etwas Symbolisches. Dass Angehörige für sich entscheiden können, diesen Weg der Versöhnung mit der Natur gehen zu können.“

Doch er wandte auch ein: „Da die Bestattungskultur recht starr ist in Deutschland, freut man sich natürlich über jede kleine innovative Neuerung. In anderen Ländern, in denen Bestattungsmöglichkeiten wie die Aquamation oder Recompose verfügbar sind, wäre das keine so spektakuläre Neuerung wie bei uns.“

 

 

Auch Werner Kentrup, Bestattermeister und Geschäftsführer beim Bestattungshaus Hebenstreit & Kentrup GmbH, der mit der „Grünen Linie“ nachhaltige Bestattungsunternehmen zertifiziert, findet, dass die Reerdigung eher auf schon Bestehendes aufmerksam macht.

„Durch die Diskussion wird eines deutlich: Die Erdbestattung ist die ökologischste, historisch gewachsene Bestattungsform. Und Friedhöfe müssen wieder stärker in den Fokus rücken“, sagte Kentrup friedlotse im Interview. „Ich stimme Pablo Metz zu, dass wir die Feuerbestattung eigentlich nicht mehr brauchen, vor allem aus ökologischen Gründen. Wir kommen der Erdbestattung wieder näher und dem Gedanken, dass wir zu Erde werden. Wir stellen uns die Frage: Was ist ein guter Weg dahin? Gut also, dass wir darüber sprechen.

Aber: Man kann auch einen einfachen, dünnen Sarg nehmen, möglichst wenig Material, keinen Kunststoff. Wir betten unsere Verstorbenen dann auf Stroh und ein Baumwolllaken, angekleidet am besten mit Kleidung aus Naturfasern aus dem eigenen Bestand. Und wenn man dann noch einen Blumenstrauß mit in den Sarg gibt, nimmt die Natur noch schneller ihren Lauf.“

Ein verlockender Gedanke, dass es so einfach sein soll. Allerdings wurde friedlotse während der Recherche immer wieder bestätigt, dass bei einer klassischen Erdbestattung erstens schädliche Stoffe wie zum Beispiel Medikamentenrückstände aus dem Körper ins Grundwasser gelangen können. Bei einer Reerdigung werden diese neutralisiert. Zweitens laufen die Verwesungsprozesse im Grab doch oft anaerob ab, was sogar noch nach 20 Jahren beim Ausheben für starken Geruch und für unvollständig oder gar nicht verweste Leichname sorgen kann.

 

 

Der starke Fokus auf den Nachhaltigkeitsgedanken im Kontext Bestattung stieß bei einigen Interviewten auf Widerspruch. Frank Pasic etwa, Betreiber des Flamariums und Vorstandsvorsitzender der FUNUS Stiftung, erklärte im Gespräch mit friedlotse, dass Bestattung für viele eben nicht nur ein Problem der „Entsorgung“ sei. „Bei uns sind die Erd- und die Feuerbestattung die seit Jahrhunderten tradierten Bestattungsarten“, sagte er uns. „Die Art ihrer Durchführung ist in bestimmten Gesetzen geregelt, nämlich den Bestattungsgesetzen der Länder. Warum?! Wenn der Umgang mit dem toten Körper ein Umweltproblem darstellt, könnten wir ihn doch auch in den Umweltgesetzen regeln, beispielsweise im Abfallrecht oder im Immissionsschutzrecht. Tun wir aber nicht, weil wir alle wissen, dass die Bestattung nicht nur die Entsorgung eines toten Körpers bedeutet, sondern eine besondere gesellschaftliche und kulturelle Aufgabe darstellt.“

Letzterem stimmte auch Barbara Rolf zu, erwiderte aber: „Selbstverständlich ist Bestattung nicht in erster Linie ein Entsorgungs- und Umweltthema. Doch das ist es auch. Meine Erde bietet eine Bestattungsweise an, die keinen dieser Aspekte ausblendet.“

Egal ob dir die Nachhaltigkeit deiner Bestattung wichtig ist oder du einfach die Vorstellung vom Rosenbusch in der Erde deines Körpers schön findest – Pablo Metz ist es wichtig, dass die Reerdigung prinzipiell für alle verfügbar ist.

 

 

„Da sich eine Reerdigung in fast alle Bestattungsmöglichkeiten einbinden lässt, gibt es keine Gruppe von Menschen, die sich nicht für eine Reerdigung entscheiden kann.
Wir haben Willenserklärungen von jungen und alten Menschen, von Menschen in der Stadt oder auf dem Land, von Menschen mit großer religiöser Überzeugung, oder Menschen, bei denen der Glaube keine Rolle spielt.

Wir setzen uns dafür ein, dass sich alle Menschen für eine Reerdigung entscheiden können. Bestatterinnen und Bestatter sollen sich damit auskennen, entsprechend beraten und begleiten können. Und die Reerdigung muss für alle bezahlbar sein.“

Es ist in jedem Fall ein großer Schritt für die Bestattungskultur. In Deutschland gibt es über 30.000 Friedhöfe, auf denen Alvarien errichtet werden könnten, und wenn man Metz so zuhört, glaubt man ihm, dass er viele von ihnen dafür begeistern kann.

Vieles bleibt spannend und abzuwarten, beispielsweise, was es eigentlich für den Trauerprozess bedeutet, wenn man seinen Verstorbenen 40 Tage lang im Kokon weiß und vor dem inneren Auge hat, welche Transformation dort geschieht.

 

 

„Auch das wird uns vor neue Fragen stellen“, so Thorsten Benkel. „Was ist das Maßgebliche? Die Übergabe des Körpers in den Kokon oder die Übergabe des Humus in die Erde?“

In jedem Fall scheint eine lebensbejahende Bestattungsweise gefunden. Oder wie Pablo Metz es ausdrückt: „Mit einer Reerdigung kann man einen neuen Anfang im Lebensende sehen.“

Und sich auch endlich im Grabe umdrehen.

 

 

[Bilder: Angelika Frey]





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